DIE GESCHICHTE DES HAUS SEEFAHRT

Wie es anfing
Überall in der Welt herrschte Unruhe - im bösen, aber auch im guten Sinne. Die Türken standen zum Schrecken der Christenheit in Ungarn. Kaiser Karl V. hatte erst kürzlich "Neue Gesetze" für die Kolonien zur menschenwürdigeren Behandlung der Indianer erlassen. Herzog Albrecht von Preussen hatte die Universität Königsberg gegründet. Der 61 jährige Martin Luther hatte "Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet" geschrieben. 

Die Schiffe der Hansestadt Bremen befuhren im 16. Jahrhundert die Meere von Spanien bis Island, von Irland bis zur baltischen Küste. An Bord hatten sie englische Wolle, schottische Kohle, flandrische Tuche, französisches Salz, indische Spezereien, Südweine und rheinische Weine, vor allem aber auch Heringe und Kabeljau, die begehrte Fastenspeise, Pelzwerk und Tran aus Island, schwedisches Eisen und Kupfer nicht zu vergessen - alles wurde von weit her gebracht und weseraufwärts ins Binnenland verkauft. Die Schiffe aber, die seewärts fuhren, nahmen Leinwand, Korn und Bier mit.

Mit Entsetzen dachten die Bremer an das Jahr 1529 zurück, als viele Bürger und Bürgerinnen an der aus England eingeführten "Schwitzseuche" erkrankten und starben.

Bei vielen Bremern ging die Not um, und in den Strassen nahm die Bettelei überhand. Unter den Bettlern aber gab es so manchen, der noch vor gar nicht langer Zeit Arbeit und Brot hatte. Es konnte passieren, dass einst angesehene Bürger mit offener Hand an den Türen der Patrizierhäuser um Almosen baten, durch die sie einst als willkommene Gäste geschritten waren.

Nur wenige Jahre waren es her, dass Franz Böhme und Ludwig Graf von Moerkerken, Schiffscommandeure des rauflustigen und den Bremern nicht besonders gut gesonnenen Junkers Balthasar von Esens, und ihre Spiessgesellen reich beladene Bremer Schiffe geplündert und deren Mannschaft einfach über Bord geworfen hatten.

Nun gut, Böhme, Moerkerken und achtzig ihrer Leute hatten nicht viel Freude an ihrer Untat gehabt. Sie wurden bald darauf von den Bremern gefangen genommen und - nach kurzem Prozess auf dem Markt vor dem Rathaus, wohin sie "alle mit verstrickten Händen" geführt waren - auf dem Jodenberge enthauptet. Die Köpfe der Seeräuber aber steckten die Bremer draussen vor dem Tore bei Walle an ein Balkengerüst. Und dort grinsten sie noch bis zum Jahre 1547.

Die Bremer brauchten also im Jahre 1545 nur vor das Waller Tor zu treten, um sich der permanenten Gefahr durch die Seeräuberei bewusst zu werden. Doch die Totenschädel waren gar nicht nötig. Jeder Bremer wusste - und manch einer aus aus eigenem Erleben, wie hart und gefährlich die Seefahrt sein konnte, auch ohne Seeräuber. Denn die hölzernen Schiffe waren den Gewalten der See zuweilen hilflos ausgeliefert, und manch ein Seemann kehrte krank oder gar nicht nach Hause zurück.

Seit Menschengedenken hatten sich Seeleute darauf verlassen können, dass die römisch-katholische Kirche in Notfällen helfend eingriff - mit dem Geld, das letztlich Reeder und Seeleute der Kirche gespendet hatten.

Schon zu alten Zeiten wurde auf den Schiffen Geld für mildtätige Zwecke gesammelt. Beim Kauf oder Verkauf von Schiffen wurde der Kirche ein Gottes-Geld gegeben, und auch beim Abschluss eines Heuer-Kontraktes zwischen Schiffer und Matrosen fiel ein solches Gottes-Geld der Kirche und damit den Armen zu.

Es war aber Gewohnheit geworden, dass die von den Schiffern ihrem Schiffsvolk für Vergehen an Bord auferlegten Bruchgelder (Broke, Bruch = Geldstrafe) und auch andere erübrigte Gelder nach glücklicher Heimkehr von der Reise nicht zu Gottes Ehre und Notdurft der Armen verwandt wurden, sondern für fröhliche Gelage ausgegeben wurden.

Die Bedürftigen gingen leer aus, und auch bei den Seeleuten, die auf See zu Schaden gekommen und nicht mehr in der Lage waren, in ihrem Beruf zu arbeiten, zog die Not ins Haus. Da halfen auch die Gottes-Kisten nicht, die in den dreissiger Jahren des 16. Jahrhunderts in den Hauptkirchen der Stadt zur allgemeinen Armenpflege aufgestellt worden waren.

Bremer Schiffer, die der bereits seit langem bestehenden Gesellschaft der Schiffahrer angehörten, ergriffen die Initiative, wie es auch in anderen Hafenstädten zu jener Zeit geschah, so in Lübeck, wo die Seefahrer bereits im Jahre 1538 das Gildehaus gebaut hatten.

In Stralsund hatte sich im Jahre 1488 die Schiffer-Compagnie gebildet, zunächst nur, um die Rechte der Seeleute gegenüber den wohlhabenden Kaufleuten und den städtischen Behörden zu bewahren, später aber auch, um Schiffer und ihre Familien vor Not zu bewahren.

In Bremen waren es Reyner Wacke, Dyderick Kordewacker, Erp Focke, Hinrick Ruter, Hinrick Stenwech, Berndt Schroder, Hermen Wedeman und Gert Losekanne, die das Elend ihrer unglücklichen Standesgenossen nicht mehr mit ansehen konnten, zumal sie selbst stets damit rechnen mussten, über kurz oder lang ein gleiches Schicksal erdulden zu müssen. Sie setzten sich zusammen, und was dabei herauskam, war ein Brief, in dem in Not geratenen Seeleuten ausdrücklich Hilfe zugesagt wurde. Unter anderem hiess es darin:

"...So auch jemand, er sei Schiffer, Kaufmann oder vom Schiffsvolk an Bord des Schiffes bei der Verteidigung des Schiffes und der Güter von den Feinden verdorben oder sonst im Schiffsdienst geschossen, verwundet und schimpfiert worden und also in Nachteil und Gebrechen gekommen und deshalb unterhalten werden muss, so soll zu dem Behufe von dem Schiff und seinen Gütern eine angemessene Zulage erhoben und diese in die Gotteskiste zu Verwahrung gebracht werden..."